Ratgeber
/ 26. Oktober 2023

Was Sie über das neue Fachkräfteein­wanderungsgesetz wissen müssen

Um dem Fachkräftemangel erfolgreich entgegenzusteuern, will der Gesetzgeber vermehrt Fachkräfte aus dem Ausland rekrutieren. Diesem Zweck dient das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung“, welches den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtern soll. Einen ersten Überblick erhalten Sie hier.

Aufenthaltsgesetz wird geändert

Beim Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung in Deutschland (kurz: Fachkräfteeinwanderungsgesetz) handelt es sich um ein sogenanntes Artikelgesetz, d. h., es handelt sich um ein Gesetz, das gleichzeitig mehrere Gesetze ändert. Das wesentliche Gesetz, welches durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz reformiert wird, ist das bereits bestehende Aufenthaltsgesetz (AufenthG), das den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern in das Bundesgebiet regelt. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wurde am 18.08.2023 im Bundesgesetzblatt verkündet und tritt in Etappen ab dem 18.11.2023 bis 2026 vollständig in Kraft.

Fachkräfteeinwanderung ruht auf drei Säulen

Die Fachkräfteeinwanderung nach dem neuen Gesetz basiert auf drei Säulen:

1. Fachkräftesäule

2. Erfahrungssäule

3. Potenzialsäule

Die Fachkräftesäule soll den Schwerpunkt bilden. Durch das neue AufenthG sollen für Fachkräfte die Voraussetzungen für die Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis sowie einer Blauen Karte EU (siehe Exkurs) vereinfacht werden. Bei der Erfahrungssäule geht es darum, Arbeitskräften mit mindestens zweijähriger Berufserfahrung unter bestimmten Voraussetzungen die Einwanderung zu ermöglichen. Die für die ersten beiden Säulen beschlossenen Regelungen treten am 18.11.2023 in Kraft. Bei der dritten Säule wird berücksichtigt, ob eine Arbeitskraft das Potenzial hat, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Um dies zu erfahren, wird eine Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitssuche neu eingeführt, die sogenannte Chancenkarte. Diese Regelungen treten am 01.06.2024 in Kraft.

Wichtig

Die Beschäftigung von EU-Bürgern oder von Bürgern aus Staaten des europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) und der Schweiz ist ohne Genehmigung möglich. Arbeitnehmer aus anderen Ländern (sogenannte Drittstaaten) benötigen hingegen grundsätzlich einen Aufenthaltstitel (z. B. eine Aufenthaltserlaubnis), der ihnen eine Beschäftigung erlaubt. Die Blaue Karte EU ist der maßgebliche Aufenthaltstitel für akademische Fachkräfte aus Drittstaaten. Sie wird in einem vereinfachten Verfahren ohne Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit von den Ausländerbehörden erteilt. Voraussetzung nach derzeit noch geltendem Recht ist, dass der Antragsteller ein abgeschlossenes Hochschulstudium nachweisen kann, eine Mindestgehaltsgrenze von 58.400€ brutto (2023) eingehalten wird und der Hochschulabschluss mit der geplanten Beschäftigung übereinstimmt.

Erleichterungen bei der Blauen Karte EU

Nach den Neuregelungen wird die Blaue Karte EU auch für Fachkräfte erteilt, die ein tertiäres Bildungsprogramm (z. B. Fachhochschule, Berufsakademie) abgeschlossen haben, welches einem Hochschulabschluss gleichwertig ist und eine mindestens dreijährige Ausbildungszeit erfordert. Außerdem gelten gemäß § 18g AufenthG in der Neufassung unter bestimmten Voraussetzungen geringere Gehaltsgrenzen von 43.800 € (2023) bzw. 39.682,80 € für Berufsanfänger. Im IT-Bereich wird vollständig auf die Voraussetzung eines Hochschulabschlusses verzichtet. Nach § 18g Abs. 2 AufenthG in der Neufassung wird einem Ausländer mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit eine sogenannte kleine Blaue Karte EU zur Ausübung eines IT-Berufes erteilt, wenn die Mindestgehaltsschwelle erreicht wird, er über eine mindestens dreijährige einschlägige Berufserfahrung verfügt und dadurch die erforderlichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, deren Niveau mit einem Hochschulabschluss bzw. mit einem tertiären Bildungsprogramm vergleichbar ist.

Fachkräfte sind breit einsetzbar

Außerhalb der Sonderregelungen für die Blaue Karte EU ist die Aufenthaltserlaubnis für Fachkräfte in den §§ 18a,18b AufenthG neuer Fassung geregelt. Sie ermöglicht Arbeitskräften aus Drittstaaten mit qualifizierter Berufsausbildung oder akademischer Ausbildung die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in Deutschland. Nach der Neufassung des Gesetzes steht die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in diesen Fällen nicht mehr im Ermessen der Behörde, sondern besteht als Anspruch, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung vorliegen. Anders als bei der Blauen Karte EU wird bei dem Aufenthaltstitel nach diesen Vorschriften in der Neufassung des Gesetzes auf die Übereinstimmung von erworbener Qualifikation und ausgeübter qualifizierter Beschäftigung verzichtet. Sofern eine Berufsausbildung oder akademische Ausbildung vorliegt, kann der Betreffende also jede qualifizierte Beschäftigung ausüben.

Grundvoraussetzung für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß §§ 18 a, 18 b AufenthG und der Blauen Karte EU ist, dass der betreffende Ausländer aus einem Drittstaat ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorweisen kann.

Keine Aufenthaltserlaubnis ohne Berufserfahrung

Auch ohne einen in Deutschland anerkannten Berufs- oder Hochschulabschluss können Ausländer aus Drittstaaten nach der gesetzlichen Neuregelung in allen nicht reglementierten Berufen in Deutschland arbeiten gemäß § 19c Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 6 Beschäftigungsverordnung (BSchV) in der neuen Fassung. Voraussetzung hierfür ist, dass sie mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen in ihrem Herkunftsland staatlich anerkannten Berufsabschluss vorweisen können. Eine formelle Anerkennung ihres Berufsabschlusses in Deutschland ist nicht mehr erforderlich. Damit diese qualifizierten Fachkräfte nicht im Niedriglohnsektor beschäftigt werden, muss jedoch eine bestimmte Gehaltsschwelle eingehalten werden oder der Arbeitgeber muss tarifgebunden sein.

Chancenkarte mit Punktesystem

Während für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18a, 18b AufenthG sowie der Blauen Karte EU ein konkretes Arbeitsplatzangebot voraussetzt, ist dies für eine Einwanderung auf der Basis der Potenzialsäule nicht erforderlich. Für ausländische Arbeitskräfte aus Drittstaaten, die noch kein Arbeitsplatzangebot vorweisen können, aber potenzial für den deutschen Arbeitsmarkt mitbringen, wird mit den Vorschriften der §§ 20a, 20b AufenthG neuer Fassung eine sogenannte Chancenkarte eingeführt. Diese Vorschriften treten jedoch erst zum 01.06.2024 in Kraft.

So funktioniert die Chancenkarte

Die Chancenkarte ist eine zunächst auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis zur Suche nach einer Erwerbstätigkeit oder zur Durchführung von Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen, sogenannte Suchchancenkarte. Sie kann einem Ausländer aus einem Drittstaat erteilt werden, wenn er

  • entweder die Voraussetzungen einer Fachkraft erfüllt oder
  • mindestens sechs Punkte aus einer Tabelle (siehe unten) erreicht und außerdem sein Lebensunterhalt gesichert ist.

Diese Rechte verschafft die Chancenkarte

Die Chancenkarte berechtigt den Inhaber, durchschnittlich 20 Stunden pro Woche zu arbeiten und eine Probebeschäftigung von jeweils höchstens zwei Wochen auszuüben, wobei diese Beschäftigung jeweils qualifiziert sein muss, auf eine Ausbildung abzielen oder geeignet sein muss, im Rahmen einer Maßnahme zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen nach § 16d AufenthG aufgenommen zu werden.

Für sogenannte reglementierte Berufe (z. B. medizinische Berufe, selbstständige Handwerksmeister) bleibt die Anerkennung der im Ausland erworbenen Berufsqualifikation in Deutschland auch weiterhin erforderlich. Nach der gesetzlichen Neuregelung darf der Antrag auf Anerkennung eines Berufsabschlusses aber auch nach der Einreise nach Deutschland erfolgen. In diesem Fall müssen sich sowohl Fachkräfte als auch ihre Arbeitgeber nach § 16d Abs. 3 AufenthG in der neuen Fassung zu einer Anerkennungspartnerschaft verpflichten. Die Fachkraft kann dann sofort eine Beschäftigung aufnehmen und muss nicht auf den Abschluss des Anerkennungsverfahrens warten.

Für diese Kriterien gibt es Punkte

Punkte erhält der Betreffende gemäß der Tabelle für folgende Gesichtspunkte: Qualifikation, Deutsch- und Englischkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug, Alter und Potenzial der Lebens- oder
Ehepartnerpartner.

Tabelle für Kriterien der Fachkräfteeinwanderer

Nr. 1: Festgestellte Gleichwertigkeit einer ausländischen Berufs­qualifizierung bzw. Erteilung einer Berufsausübungserlaubnis für
einen reglementierten Beruf 4 Punkte

Nr. 2 Gute Deutschkenntnisse (mindestens Niveau B2) 3 Punkte

Nr. 3: Ausreichende Deutschkenntnisse (mindestens Niveau B1) 2 Punkte

Nr. 4: Hinreichende Deutschkenntnisse (mindestens Niveau A2) 1 Punkt

Nr. 5: Englischkenntnisse auf dem Niveau C1 1 Punkt

Nr. 6: Fünf Jahre im Zusammenhang mit der Berufsqualifikation
stehende Berufserfahrung binnen der letzten sieben Jahre 3 Punkte

Nr. 7: Zwei Jahre im Zusammenhang mit der Berufsqualifikation
stehende Berufserfahrung binnen der letzten sieben Jahre 2 Punkte

Nr. 8: Berufsqualifikation in einem Mangelberuf 1 Punkt

Nr. 9: Nicht älter als 35 Jahre 2 Punkte

Nr. 10: Älter als 35 aber jünger als 40 Jahre 1 Punkt

Nr. 11: Rechtmäßiger mindestens 6-monatiger Voraufenthalt im
Bundesgebiet 1 Punkt

Nr. 12: Ehegatte/Lebenspartner erfüllt die Voraussetzungen der
Chancenkarte, beantragt bei derselben zuständigen Stelle eine Chancen­karte und es erfolgte eine gemeinsame Einreise nach Deutschland 1 Punkt

Annemarie Böttcher

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