Praxisbericht
/ 25. September 2023

Geschäftsübernahme birgt Chancen und Risiken

Nicht nur für Existenzgründer, sondern auch für bereits gut eingeführte Unternehmen kann die Übernahme eines Betriebes oder eines Betriebsteils eine Chance sein, sich neue Geschäftsfelder zu eröffnen. Vor allem auch in arbeitsrechtlicher Hinsicht muss eine derartige Entscheidung jedoch gut überlegt sein.

Arbeitnehmerrechte werden besonders geschützt

Um zu verhindern, dass durch den Verkauf eines Unternehmens dessen Beschäftigte rechtliche Nachteile erleiden, wurden in § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Rechtsfolgen eines sogenannten Betriebsüberganges geregelt. Diese Vorschrift entspricht in weiten Teilen den Vorgaben einer europarechtlichen Richtlinie und wird in gerichtlichen Auseinandersetzungen stark von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts­hofes (EuGH) geprägt.

Diese Ziele verfolgt die gesetzliche Regelung

§ 613a BGB ist vorrangig eine Schutzvorschrift für Arbeitnehmer, die die folgenden wesentlichen
Ziele verfolgt:

  • den sozialen Besitzstand der Arbeitnehmer auch beim neuen Inhaber zu erhalten und einen lückenlosen Bestandschutz zu gewährleisten
  • den Bestand des Betriebsrats und seiner Mitbestimmungsrechte zu garantieren
  • die Kontinuität des Betriebes durch Fortbestand der eingearbeiteten Belegschaft zu sichern
  • eine Verteilung der Haftungsrisiken zwischen dem altem und dem neuen Inhaber vorzunehmen

Betriebsübergang wird durch Rechtsgeschäft ausgelöst

Nach der Definition des § 613a BGB liegt ein Betriebsübergang vor, wenn ein Betrieb oder ein Betriebsteil durch ein Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergeht. Das Merkmal des Rechtsgeschäfts wird dabei von den Gerichten sehr weit ausgelegt. Hierunter versteht man nicht nur den Kauf eines Betriebes oder Betriebsteils, sondern nahezu jeden vertraglichen Inhaberwechsel, z.B. durch Kauf- oder Pachtverträge, aber auch durch Nießbrauchs- oder Schenkungsverträge.

Nicht jedes Geschäft ist ein Betriebsübergang

Jedoch nicht jede Transaktion, die im Zusammenhang mit der Übertragung von Betriebsmitteln vorgenommen wird, ist zwangsläufig ein Betriebsübergang i. S. d. § 613a BGB. Nach der Rechtsprechung treten die Rechtsfolgen des
§ 613a BGB nur ein, wenn ein Betrieb oder ein Betriebsteil betroffen ist, d.h. eine wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität auf einen anderen Inhaber übergeht. Da diese Frage nicht generalisierend beantwortet werden kann, überprüfen die Gerichte in jedem Einzelfall, was die Identität des betroffenen Betriebes ausmacht und ob eine wirtschaftliche Einheit oder nur einzelne Betriebsmittel, z.B. Maschinen, veräußert werden. Ob im konkreten Fall ein Betriebsübergang vorliegt, hängt dabei ganz individuell von der Art des Betriebes ab. In einem betriebsmittelarmen Betrieb, in dem das Know-how der Mitarbeiter oder Kundenkontakte eine wesentliche Rolle spielen, kann ein Betriebsübergang unter Umständen auch bejaht werden, wenn kaum materielle Betriebsmittel übergehen. In einem Produktionsbetrieb hingegen wird ein Betriebsübergang nur dann angenommen werden können, wenn auch ein erheblicher Teil der Maschinen auf den neuen Erwerber übergeht.

Werden nur Gesellschaftsanteile an einen oder mehrere neue Gesellschafter veräußert, liegt kein Betriebsübergang vor. Hier handelt es sich um eine sogenannten share-deal, der in arbeitsrechtlicher Hinsicht keinerlei Auswirkungen hat. Arbeitgeber der Beschäftigten bleibt die Gesellschaft. Wer die Gesellschafter sind und ob hier ein Wechsel vollzogen wird, spielt rechtlich keine Rolle.

Diese Kriterien wenden die Arbeitsgerichte an

Um zu beurteilen, ob ein Betriebsübergang vorliegt, hat die Rechtsprechung verschiedene Kriterien entwickelt, ohne diese jedoch zu gewichten. Welche Kriterien den Ausschlag geben, hängt von den individuellen Gegebenheiten des Einzelfalles ab. Maßgeblich sind danach folgende Aspekte:

  • die Art des Betriebes (Bandbreite reicht vom betriebsmittelreichen Produktionsbetrieb bis zum betriebsmittelarmen Dienstleister)
  • ob und welche sachlichen Betriebsmittel übergehen (Maschinen, Gebäude) und deren Wert
  • ob immaterielle Betriebsmittel übernommen werden (Know-how, Patente, Lizenzen) und die bestehende Organisation
  • ob die Hauptbelegschaft durch den Erwerber unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Fortführung des Betriebes (Übernahme von Know-how-Trägern) weiterbeschäftigt wird
  • ob der Kundenstamm und Lieferantenbeziehungen übernommen werden
  • der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten
  • die Dauer einer eventuellen Unterbrechung der Betriebstätigkeit zwischen Übernahme und Wiederaufnahme

Arbeitsverhältnisse gehen auf neuen Inhaber über

Liegt nach der Wertung der maßgeblichen Kriterien ein Betriebsübergang vor, hat dies zur Folge, dass die Arbeitsverhältnisse aller zum Zeitpunkt des Überganges im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, inklusive der leitenden Angestellten, mit allen Rechten und Pflichten auf den neuen Inhaber übergehen. Der Übergang erfolgt dabei per gesetzlicher Anordnung, d. h., es bedarf keiner ausdrücklichen Vereinbarung zwischen dem Betriebs­erwerber und den Mitarbeitern. Vereinbarungen zwischen altem und neuem Betriebsinhaber, dass keine oder nur bestimmte Arbeitnehmer übernommen werden, sind unzulässig und entfalten gegenüber den Betroffenen keine Wirkung.

Nur Arbeitnehmer gehen über

Beschäftigte des Betriebes, die nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt werden, gehen nicht per Gesetz auf den neuen Inhaber über. Freie Mitarbeiter, Werkvertragsnehmer, Handelsvertreter und die Organmitglieder, z.B. GmbH-Geschäftsführer, verbleiben daher rechtlich mit dem Betriebsveräußerer verbunden.

Weitere Konsequenzen eines Betriebs­überganges

Neben dem Übergang der Arbeitsverhältnisse enthält § 613a BGB weitere Rechtsfolgen eines Betriebsüberganges. So werden Rechte und Pflichten aus einem beim alten Betriebsinhaber geltenden Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung zum Inhalt des Arbeitsvertrages mit dem Erwerber, sofern diese Rechte und Pflichten beim Erwerber nicht auch durch einen eigenen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung geregelt sind. Für Verbindlichkeiten, die bereits vor dem Zeitpunkt des Überganges bestanden haben, haften der alte Arbeitgeber und der Erwerber als Gesamtschuldner.

Gesetz enthält Kündigungsverbot

Um zu vermeiden, dass im Hinblick auf den Betriebsübergang der Personalbestand „verschlankt“ wird, enthält § 613a Abs. 6 BGB ein für den Arbeitgeber geltendes Kündigungsverbot aus Anlass eines Betriebsüberganges. Dieses Verbot besteht unabhängig von der Größe des Betriebes, also auch in Kleinbetrieben mit zehn oder weniger Mitarbeitern, in denen das Kündigungsschutzgesetz nicht gilt. Eine Kündigung, die nicht aus Anlass des Betriebsüberganges ausgesprochen wird, bleibt aber weiterhin zulässig. Es ist daher durchaus möglich, im übergegangenen Betrieb Umstrukturierungen vorzunehmen, z. B. betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen.

Arbeitnehmer haben ein Widerspruchsrecht

Arbeitnehmer müssen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber nicht hinnehmen. Sie haben im Fall eines Betriebsüberganges die Wahl, ob sie zum neuen Arbeitgeber wechseln oder beim alten Arbeitgeber bleiben wollen. Der Widerspruch muss nach § 613a innerhalb eines Monats nach der Unterrichtung (s. u.) über den Betriebsübergang schriftlich gegenüber dem alten oder dem neuen Betriebsinhaber erklärt werden.

Das sind die Rechtsfolgen eines Widerspruches

Der Widerspruch hat zur Folge, dass das Arbeitsverhältnis mit dem alten Betriebsinhaber fortbesteht. Hat dieser infolge des Betriebsüberganges keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, kann er das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt kündigen, muss aber die ordentliche Kündigungsfrist einhalten. Wurde nur ein Teilbetrieb veräußert, muss der alte Arbeitgeber prüfen, ob im verbleibenden Betrieb eine Weiterbeschäftigung möglich ist.

Eine reine Auftragsnachfolge, z.B. die Übernahme eines Reinigungsauftrages für einen Bürokomplex, stellt keinen Betriebsübergang dar, wenn das zuvor damit befasste Personal oder Betriebsmittel nicht übernommen werden.

Arbeitnehmer müssen informiert werden

Um einem Arbeitnehmer eine sachgerechte Entscheidung darüber zu ermöglichen, ob er von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch machen will oder nicht, enthält § 613a Abs. 5 BGB eine Unterrichtungspflicht. Danach müssen der bisherige oder der neue Betriebsinhaber die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer in Textform unterrichten über

  • den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Überganges,
  • den Grund für den Übergang,
  • die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Überganges für die Arbeitnehmer und
  • die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.
Um schnell Rechts­sicherheit zu erhalten, welche Mitarbeiter übergehen und welche nicht, empfiehlt es sich als Beteiligter eines Betriebsüberganges, die Unterrichtung nicht dem Vertragspartner zu überlassen, sondern selbst vorzunehmen.

Annemarie Böttcher

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